Vor allem aufgrund der immensen Regularien kommt es im althergebrachten Finanzsystem zu überbordenden Kontrollmechanismen und damit zu hohen Transaktionkosten, die letztendlich von den Kunden – also Konsumenten und Wirtschaft – getragen werden. Trotz des intensiven regulatorischen Umfelds weist die Finanzbranche jedoch laut diverser Studien eine hohe Wirtschaftskriminalitätsrate aus – und das wiederum ist katastrophal für alle anderen Branchen, da die horizontale Finanzbranche alle anderen Branchen bedient.
Die Ineffizienz des existierenden Finanzsystem resultiert einerseits aus dem Mix einem alten und überholten System, dessen Prozessabläufe durch ein, über die letzten 30 Jahren gewachsenes und unübersichtliches Flickwerk aus sogenannten “Legacy Applications” bestimmt werden und andererseits aus der Notwendigkeit zentraler Kontrollpunkte, die in einer massiven Inflexibilität des Systems enden.
All das sind Gründe warum momentan so ein Hype um die neuen dezentralen Transaktionssysteme (Blockchain, Distributed Ledger Transaction Systems usw.) herrscht.
Mittels dezentraler Transaktionssyteme können Vermögenswerte gesichert und kostengünstig peer-to-peer übertragen werden. Geld, Aktien, Grundstücke usw. sind in diesen dezentralen Netzwerken nachvollziehbar erfasst und einfach transferierbar. Ein riesiges, global verteiltes Hauptbuch, das auf Millionen von Geräten läuft. Die Validierung der Transaktionen bzw. des Besitzstandes erfolgt durch unterschiedlichste Algorithmen durch das Netzwerk selbst. Moderne Kryptografie ermöglicht einen hohen Grad an Anonymität und einen hohen Schutz gegen Cyberangriffe.
Dezentrale Transaktionssysteme ermöglichen es global Transaktionen durchzuführen ohne Mittelsmänner zur Verifizierung von Identitäten und zur Vermittlung von Vertrauen zu benötigen. Damit können viele Transaktionen effizienter und vor allem kostengünstiger durchgeführt werden. Die dezentralen Netzwerke übernehmen dabei zusammengefasst die kritischen Vertrags-, Clearing-, Settling- und Aufzeichnungsaufgaben, die notwendig sind um Distanzgeschäfte zwischen anonymen Einheiten abwickeln zu können.
Ausufernde Kontrolltätigkeiten – ein Bereich, indem die größten Kostenblöcke der Finanzinstitute anfallen – werden abgelöst durch inherente, nachvollziehbare und unkorrumpierbare Konsens-Algorithmen der diversen dezentralen Transaktionssysteme. Santander beziffert das dadurch bei den Finanzinstituten gegebene Einsparpotential mit 20 Milliarden USD pro Jahr, CapGemini schätzt, dass das Einsparpotential für Verbraucher durch reduzierte Bank- und Versicherungsgebühren bei Nutzung dezentraler Transaktionssysteme bei jährlich 16 Milliarden USD liegen könnte.
Insofern sehen viele der Finanzinstitute wie JP Morgan, Chase, Citigroup und Credit Suisse die dezentralen Netzwerke vor allem als Möglichkeit ihr Backoffice kostengünstiger gestalten zu können. Fakt ist jedoch, dass das Potential der dezentralen Netzwerke in einer radikalen Änderung der Geschäftsmodelle vieler Branchen und vor allem auch in der Finanzindustrie zu sehen ist. Durch die Nutzung dezentraler Netzwerke wird eine noch nie vorhergesehene Interaktion zwischen Peer-to-Peers möglich, die viele unserer bestehenden Organisationsformen überflüssig machen könnte.
Beispielhaft kann hier auf die Venture Capital Szene hingewiesen werden:
Jahrelange war die Venture Capital Szene von OldBoys Netzwerken geprägt, erst in den letzten 10 Jahren wurden diese alten Strukturen aufgebrochen durch neue Peer-to-Peer Modelle wie Crowdfundingplattformen (Kickstarter, Indiegogo). Doch erst durch den Einsatz dezentraler Netzwerke kann das globale Potential der Peer-to-Peer Modelle realisiert werden.
2016 lukrierten Blockchain-Unternehmen ingesamt rund 400 Millionen Dollar Venturekapital und davon rd. 200 Millionen Dollar durch ICOs (Initial Coin Offerings). Die im Austausch für Kryptowährungen ausgegebenen neuen CryptoCoins bzw. CryptoTokens repräsentieren Content- und Digital Rights Management-Plattformen (z. B. SingularDTV), dezentrale und automatisierte Venture-Fonds (wie der DAO, für dezentralisierte autonome Organisation) oder auch neue Plattformen, um wiederum Investitionen in ICOs zu machen und digitale Assets einfach zu verwalten (wie zB ICONOMI).
2017 werden weitere ICOs an den Start gehen wie beispielsweise Cosmos, eine Technologie, mittels der die verschiedensten dezentralen Netzwerke verbunden werden können.
Der Venture Capital Fonds Union Square Venture (USV) hat als Antwort auf diese neue Möglichkeit der Geldaufbringung inzwischen ihre Anlagestrategie erweitert, der Fonds kann nun direkt in ICOs investieren. Polychain Capital, ein Hedge Fonds, finanziert unter anderem von Andreessen Horowitz und USV veranlagt nur in Tokens. Blockchain Capital, einer der größten Investoren der Branche, hat vor kurzem angekündigt, einen CryptoCoin für seinen neuen Fonds ausgeben zu wollen.
Wie bei jeder neuen Entwicklung birgt die Teilnahme an ICOs Risiken. Es gibt wenig bis gar keine regulatorische Aufsicht und es gibt umfangreiche offene rechtliche Fragestellungen. Offensichtlich ist jedoch bereits jetzt: ICOs können die Kosten der Geldbeschaffung für Wachstumsunternehmen massiv reduzieren, effizienter gestalten und bringen vor allem auch einen massiven Netzwerkeffekt mit sich. Es handelt sich tatsächlich um ein globales und demokratisches Instrument der Kapitalbeschaffung und es wird eine noch nie da gewesene Fungibilität und Liquitität im Wachstumsfinanzierungsbereich erreicht.
Die Finanzindustrie steht vor gewaltigen Herausforderungen. Gelingt es erstmals einer Branche aus sich selbst heraus disruptiv zu sein bzw. durch das Andocken bzw. den Erwerb von jungen Unternehmen mit innovativen digitalen Finanztechnologien (FinTechs) disruptiv zu werden? Wie soll der Wandel vor sich gehen? Die Finanzinstitute beschäftigen abertausende Leute in ihren Backoffices und haben immense Investitionen in ihre überholte Hard- und Software getätigt. Was soll mit diesen vielen Mitarbeitern passieren? Eine Vielzahl offener Fragen, die meines Erachtens darauf hindeutet, das eher eine Revolution als eine Miteinander stattfinden wird.
Und doch wäre eine Kombination der alten und der neuen Welt wohl das beste für alle.